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Experten-Tipps

Warum fehlendes Wissen über Neurodermitis oft dazu führt, dass die Erkrankung nicht ausreichend kontrolliert werden kann, und weshalb es wichtig ist, die Wahl der Therapie an den Schweregrad der Erkrankung anzupassen, erklären dir Neurodermitis-Expertinnen und -Experten.

Illustration einer Neurodermitis betroffenen Person
Prof. Dr. med. Schmid-Grendelmeier

«Neurodermitis kann die Lebensqualität sehr stark einschränken.»

Prof. Dr. med. Schmid-Grendelmeier erklärt, warum es wichtig ist, dass Patientinnen und Patienten, die an Neurodermitis leiden, mit einem Spezialisten oder einer Spezialistin darüber sprechen sollten.

Am Universitätsspital Zürich behandeln Sie und Ihr Team immer mehr Patientinnen und Patienten, die an einer Neurodermitis erkrankt sind. An welchen Symptomen leiden sie?

Ja, die Zahl der an Neurodermitis Erkrankten, die zu uns kommen, nimmt zu. Darunter hat es auch sehr schwere Fälle. Als besonders quälend erleben viele von ihnen den ständigen Juckreiz. Sie kratzen sich oft wund, schlafen schlecht, kämpfen mit Schamgefühlen und manchmal sogar mit Depressionen. Über kurz oder lang leiden auch die Partnerschaft, der Familienalltag und das Berufsleben.

Der erwähnte Juckreiz ist jedoch nur ein Teil dessen, was im Körper passiert. Ist das korrekt?

Das ist so. Auch wenn die Symptome zwischen einzelnen Schüben vollständig abklingen, bleibt die Entzündung oft weiterhin bestehen. Die Neurodermitis ist eine chronische entzündliche Erkrankung, bei deren Entstehung das Immunsystem eine entscheidende Rolle spielt.

Welchen Rat geben Sie Menschen, die an Neurodermitis leiden und in ihrem Alltag einschränkt sind?

Wir verdanken es dem medizinischen Fortschritt, dass wir die Neurodermitis heute mit spezifischen Therapien gut behandeln können. Die typischen Beschwerden lassen sich deutlich lindern, manchmal verschwinden sie sogar komplett. Der Schweregrad der Erkrankung und auch der Leidensdruck sind individuell und entscheiden über die Wahl der Therapie. Ich rate deshalb allen Betroffenen: Sprechen Sie mit Spezialisten – also mit einer Hautärztin oder einem Hautarzt (Dermatologin/Dermatologe). Er oder sie wird Ihnen eine Behandlung vorschlagen, die zu Ihrem Krankheitsverlauf passt.

Prof. Dr. med. Peter Schmid-Grendelmeier
Leiter Allergiestation, Dermatologische Klinik,
Universitätsspital Zürich
PD Dr. med. Martin Glatz

«Betroffene leiden oft lange, bis sie sich an eine Dermatologin oder einen Dermatologen wenden.»

Dermatologe PD Dr. med. Martin Glatz gibt Antworten und Tipps aus seinem Praxisalltag.

Als Facharzt für Dermatologie und Allergologie sehen Sie viele Patientinnen und Patienten mit schwerer Neurodermitis. Was sind aus Ihrer Erfahrung die grössten Sorgen und Nöte dieser Betroffenen?

Der Juckreiz. Er ist bestimmt das grösste Problem für fast alle Patientinnen und Patienten. Doch es gibt Unterschiede in der Wahrnehmung zwischen einzelnen Betroffenen. Jüngere Patientinnen und Patienten, besonders in der Pubertät, leiden manchmal stärker als zum Beispiel ältere Herren, denen das Aussehen vielleicht nicht mehr so wichtig ist. So kann ein winziges Ekzem im Gesicht jemanden stark belasten, während sich ein anderer Betroffener, mit sichtbaren Entzündungen am ganzen Körper, nicht daran stört. Gemeinsam ist den meisten Patientinnen und Patienten das hilflose Gefühl, dass ihre chronische Krankheit nicht heilbar ist.

Betroffene leiden oft lange, bevor sie sich an eine Dermatologin oder einen Dermatologen wenden. Warum?

Die Geschichten dahinter gleichen sich. Die meisten Patientinnen und Patienten wenden sich zuerst an ihre Hausärztin oder ihren Hausarzt, die verschiedene Abklärungen machen und oft die Ersttherapie einleiten. Die Symptome gehen dadurch allenfalls nicht weg, sondern kommen immer wieder. Enttäuscht wechseln Betroffene dann sehr schnell die Ärztin resp. den Arzt, anstatt mit der Hausärztin oder dem Hausarzt über eine Überweisung zur Dermatologin oder zum Dermatologen zu sprechen. Fast alle wenden sich einmal der Komplementärmedizin zu, weil sie alles ausprobieren, das helfen könnte. Das kann man nachvollziehen. Die meisten Patientinnen und Patienten merken jedoch irgendwann, dass das ständige Wechseln nichts nützt, und einige verlieren die Motivation, überhaupt irgendetwas zu machen. Es ist sehr frustrierend – nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Ärztinnen und Ärzte. Wichtig ist eine gute Zusammenarbeit zwischen den Hausärztinnen/Hausärzten und den Dermatologinnen/Dermatologen.

Sind die Patientinnen und Patienten denn ausreichend informiert, wenn sie zu Ihnen kommen?

Es gibt grosse Unterschiede. Einige Betroffene setzen sich mit der Erkrankung auseinander, bei anderen erstaunt es mich, wie wenig Wissen vorhanden ist, obwohl sie schon seit vielen Jahren mit ihrer Krankheit leben. Das liegt wohl daran, dass Neurodermitis zwar äusserst unangenehm ist und eine grosse Last mit sich bringt, letztlich jedoch nicht lebensbedrohlich ist. Somit finden sich die Betroffenen mit ihrer Erkrankung ab und scheinen das Problem wegzuschieben.

Arbeit, Familie, Partnerschaft: Wie sehr leidet die Lebensqualität von erwachsenen Patientinnen und Patienten?

Sehr stark. Aus grossen Untersuchungen ist bekannt, dass Neurodermitis zu denjenigen Krankheiten gehört, welche die Lebensqualität sehr stark beeinflussen. Das typische Problem von Schwerbetroffenen ist der ständige Juckreiz, auch nachts. Sie schlafen schlecht, sind unkonzentriert, sogar depressiv. Im Sommer ist es heiss, alle gehen baden – viele Betroffene schämen sich und vermeiden ein Treffen mit Freundinnen oder Freunden. Bei Handwerksberufen aber auch bei Tätigkeiten in der Metallverarbeitung ist der Einfluss auf das Berufsleben gross. Sie haben mit reizenden Stoffen zu tun und weisen deshalb häufig an den Händen schmerzhafte Ekzeme auf. Sie sind deshalb immer wieder krankgeschrieben – das kann zu Diskussionen mit der Arbeitgeberin resp. dem Arbeitgeber führen.

Welche Möglichkeiten gibt es bei schwerer Neurodermitis?

Das Grundproblem der Neurodermitis ist die trockene Haut. Deshalb ist das Eincremen mit feuchtigkeitsspendenden und rückfettenden Hautcremes so wichtig, und zwar am ganzen Körper, ein- bis zweimal am Tag – ein Leben lang. Denn trockene Haut juckt und zwingt zum Kratzen, was wiederum Ekzeme entstehen lässt. Letztere werden mit entzündungshemmenden Cremes behandelt. Bei den meisten Betroffenen reicht dieses Vorgehen und sie haben fast keine Beschwerden. Für stark betroffene Patientinnen und Patienten, die alles versucht haben und bei denen nichts hilft, stehen systemische Medikamente mit unterschiedlichen Wirkmechanismen zur Verfügung.

Welche Ratschläge können Sie geben?

Sich Zeit nehmen und Geduld haben. Die Neurodermitis ist keine Krankheit für sich alleine und darf deshalb nicht isoliert betrachtet werden. Sie ist sehr komplex. Häufig haben Menschen mit Neurodermitis auch Heuschnupfen, Hausstaubmilbenallergie oder Asthma. Nase, Lunge, Haut – die zuständige Ärztin oder der zuständige Arzt muss alle Beschwerden und Symptome berücksichtigen und behandeln. Das Wichtigste ist deshalb, dass Betroffene eine Ärztin oder einen Arzt haben, der sich Zeit nimmt, aufklärt, ein individuelles Therapiekonzept erstellt und seine Patientinnen und Patienten entsprechend schult; auch betreffend der Faktoren, welche die Neurodermitis schlimmer machen und deshalb zu vermeiden sind. Es stimmt, die Neurodermitis ist nicht heilbar, aber man kann sie mittlerweile gut behandeln. Sie ist immer noch da, aber unter Kontrolle, insbesondere der so lästige Juckreiz.

PD Dr. med. Martin Glatz
Facharzt für Dermatologie, Allergologie
und klinische Immunologie aus Uster
Dr. med. Francesco Pelloni

«Die Symptome werden oftmals unterschätzt.»

Dr. med. Francesco Pelloni erklärt, warum fehlendes Wissen über Neurodermitis oft dazu führt, dass die Erkrankung nicht ausreichend kontrolliert werden kann, und wie Betroffene trotz Sorgen und Ängsten zu einem neuen Gleichgewicht im Leben finden.

Dr. Pelloni, was belastet Ihre Patientinnen und Patienten mit Neurodermitis am meisten?

Das ist ganz klar der Juckreiz, insbesondere bei Menschen mit einer mittelschweren bis schweren Neurodermitis. Er kann einen buchstäblich fast verrückt machen, unabhängig von der Stelle am Körper, vom Alter der Betroffenen und davon, ob ein Wiederauftreten vorliegt. Viele leiden Tag und Nacht darunter und ihre Lebensqualität ist daher verständlicherweise sehr eingeschränkt. Aber auch Läsionen, also die sichtbaren Schädigungen der Haut, können sehr belastend sein, wenn sie an einer exponierten Stelle auftreten, etwa im Gesicht, am Hals, an den Händen und – im Sommer, wenn sich die Leute leichter kleiden – an Ellbogen und in Kniekehlen. Diese Körperstellen sind am häufigsten von Neurodermitis betroffen.

Jugendliche leiden am meisten unter starken Ekzemen, weil sie sich für die entzündeten Hautstellen schämen und ständig auf ihre Hautkrankheit angesprochen werden. Wenn die Haut ihre Festigkeit, Beweglichkeit und Elastizität verliert, kann dies auch beim Sport und bei der Arbeit einschränken.

Wie wirkt sich dies auf die Lebensqualität aus?

Neurodermitis ist keine lebensbedrohliche Erkrankung, aber sie kann sich sehr negativ auf die Lebensqualität auswirken. Der Juckreiz ist oft so stark, dass Betroffene nachts nicht schlafen können. Soziale Kontakte werden gemieden, da sich die Patientinnen und Patienten aufgrund ihrer entzündeten, fleckigen Hautstellen im Gesicht, an den Händen und am Rest des Körpers nicht zeigen wollen. Das heisst, aufgrund des Hautzustands und der ständigen Angst vor dem nächsten Schub werden keine Ferien, keine sportlichen Aktivitäten oder gesellige Treffen mit Freundinnen und Freunden geplant. Dies wirkt sich auf das Familienleben, auf Freundschaften und auf andere Beziehungen aus und führt sehr oft auch zu grossen Herausforderungen im Berufsleben.

Ist es deshalb so wichtig, die Krankheit langfristig zu behandeln?

Das ist richtig. Eine langfristige Behandlung hilft Betroffenen, ausgeglichener zu werden und ein normales Leben führen zu können. Es sollen Beziehungen eingegangen werden können, ohne den eigenen Körper verstecken zu müssen oder sich bei Intimitäten unwohl zu fühlen. All dies wirkt sich positiv auf das Selbstbewusstsein und die Lebensqualität aus. Schlussendlich ist dies auch wichtig, um im Berufsalltag gut zu funktionieren.

Betroffene suchen oft erst spät Hilfe bei einer Fachperson für Hautkrankheiten. Woran liegt das?

Das ist auch bei anderen Hautkrankheiten so. Uns sind Fälle bekannt, bei denen Patienten einen langen Leidensweg hinter sich haben und nicht die individuell auf ihn oder sie abgestimmte wirksame Behandlung erhalten. Oft liegt es daran, dass Betroffene die auftretenden Symptome unterschätzen, und zwar vor allem, wenn diese eher schwach ausgeprägt sind. Aber auch das medizinische Personal neigt dazu, schwierig objektivierbare oder quantifizierbare Symptome und Faktoren zu unterschätzen – wie eben die Beeinträchtigung der Lebensqualität.

Stimmt es, dass einige Ärztinnen und Ärzte, die nicht auf die Dermatologie spezialisiert sind, Neurodermitis als Allergie einstufen?

Ja, das gibt es leider vereinzelt immer noch. Heute weiss man, dass Neurodermitis eine Erkrankung des Immunsystems ist. Trotzdem kommt es noch vor, dass die Erkrankung auf die Psyche zurückgeführt wird. Das kann dazu führen, dass die gewählte Therapie nicht ausreichend wirksam ist und die Neurodermitis nicht gut kontrolliert wird, insbesondere wenn ausschliesslich mit Alternativmedizin behandelt wird. So wird beispielsweise vergessen, wie wichtig es ist, die Haut mittels Auftragen von Cremes oder Lotionen mit Feuchtigkeit zu versorgen, oder es wird zu wenig Wasser getrunken. Es wird nicht daran gedacht, dass aufgrund des starken Juckreizes ein konstantes Kratzen die Neurodermitis weiter verstärkt und die Lebensqualität dadurch noch weiter eingeschränkt wird. Oftmals wird auch vergessen, dass es sehr wirksame therapeutische Methoden gibt, um subjektive und objektive Symptome in den Griff zu bekommen.

Welche Tipps können Sie geben?

Ich empfehle eine genaue Abklärung und eine umfassende Behandlung, die alle Krankheitsaspekte mit einbezieht. Denn nur so kann eine neue Balance im Leben erreicht werden. Für Neurodermitis gibt es bisher keine Therapie, die eine dauerhafte Heilung herbeiführt, dennoch ist die Krankheit gut mit Cremes, Pillen oder Spritzen behandelbar. Eine Neurodermitis kann aufgrund genetischer Veranlagung und immunologischer Gegebenheiten äusserst vielfältig in Erscheinung treten und Symptome können sich im Laufe des Lebens ver­ändern. Oft gibt es auch längere Ruhephasen, bevor eine Neurodermitis wieder ausbricht. Betroffene müssen sich an ihr Leben mit Neuro­dermitis anpassen und versuchen, ein allgemeines Wohlbefinden zu erlangen. Dabei können wir als Fachpersonen die Patientinnen und Patienten unterstützen und begleiten.

Dr. med. Francesco Pelloni
Facharzt FMH für Dermatologie und Venerologie
Studio Medico Dr. Pelloni in Lugano